Die Hochschule für Technik Stuttgart und die Stadt Stuttgart luden zu Information und Dialog ein
Auf die persönliche Begrüßung der Gäste verzichtete die Rektorin der Hochschule für Technik Katja Rade, denn „die Zeit dränge“. Das gelte für die Herausforderung, dem Klimawandel zu begegnen und ebenso hier und heute für den Einstieg in ein straffes Programm unter dem Motto „Impulse zur Bewältigung aktueller Krisen“, das rund 100 Gäste am Donnerstag (26.1.2023) in zwei Stunden durch Impulsvorträge und daran anschließende, dialogorientierte Workshops führte. Der Fokus dieses ersten Energie- und Klimaforums richtete sich auf Herausforderungen und Lösungen für Gebäude und Quartiere. Vorträge aus Wissenschaft und Praxis untermauerten mit Zahlen, dass es nicht einfach sein wird, die auf allen politischen Ebenen und von vielen Städten selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen.
Redner:innen auf dem Energie- und Klimaforum #1: Prof. Dr. Katja Rade, Prof. Dr. Bastian Schröter, Wolf Gieseke, Prof. Dr. Stefanie Huber und Prof. Dr. Thomas Bäumer und Jan Kohlmeyer. Moderation: Dr. Steffen Wurzbacher (von links oben nach rechts unten).
Das Sanierungstempo stagniert und das regional verfügbare nachhaltige Energiepotenzial ist nicht groß genug, dass man damit fossile Energien ersetzen könnte. Vor allem die Wärmeversorgung ist ein Problem, aktuell verschärft durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Nur 12 Jahre hat die Stadt Stuttgart Zeit, um ihren Klima-Fahrplan 2035 zu realisieren. Beschlossen wurde dieser durch das Stadtparlament im vergangenen Jahr mit dem ambitionierten Ziel, bis dahin klimaneutral zu werden. Hierbei sieht Jan Kohlmeyer den Gebäudebestand als Schlüsselfaktor, wie er in seinem Impulsvortrag betonte. Kohlmeyer leitet die Stabsstelle Klimaschutz der Landeshauptstadt und bringt die Umsetzung der Stuttgarter Klimaziele in den Diskurs – unter anderem mit einem Schulterschluss zur Hochschule für Technik Stuttgart, die nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Forschung einen Schwerpunkt auf praxisorientierte Lösungen zur Klimawende setzt.
Eine "große" Lösung gibt es nicht
Wärmenetze, die bislang oft einzig aus fossilen Energien wie Öl und Gas gespeist werden, so führte Prof. Dr. Bastian Schröter aus, brauchen neue nachhaltige Wärmequellen. Solarthermie, industrielle Abwärme, Geothermie, Wärmepumpen und Biomasse können dabei aber nur Bausteine sein, eine „große“ Lösung gibt es nicht. In Stuttgart sind überhaupt nur 18% des Gebäudebestands an die Fernwärme angeschlossen. Damit stehen die Stadtwerke einer gewaltigen Aufgabe beim Netzausbau gegenüber. Drei Milliarden Euro sind deshalb für den städtischen Energieversorger im Klima-Fahrplan 2035 eingeplant.
Bezahlbares Wohnungen versus Klimaschutz: Trübe Aussichten
Auch die Grundstücks- und Wohnungsbaugesellschaft Schwäbisch Hall, vertreten durch den technischen Geschäftsleiter Wolf Gieseke, steht vor großen Herausforderungen. Die Senkung des Wärmebedarfs und damit der C02-Emissionen stehen hier im Mittelpunkt. 300 Millionen Euro will das Unternehmen bis 2045 dafür investieren. Und trotzdem herrschen laut Gieseke trübe Aussichten, denn bezahlbares Wohnen und Klimaschutz lassen sich kaum vereinbaren. Nicht mehr als ein Drittel ihres Nettoeinkommens sollten Haushalte für das Wohnen aufwenden. Eine Preisgrenze von maximal 16 Euro pro Quadratmeter soll gewährleisten, dass das möglich ist. Beispiele aus aktuellen Sanierungsvorhaben nach KfW40NH (Effizienzhaus-Stufe 40mit Nachhaltigkeits-Klasse) zeigen aber: „Es geht nicht unter 19,21 Euro Mindestmiete pro Quadratmeter. Die meisten Familien kommen dabei mit dem Einkommen nicht hin“.
Lösungen sieht Gieseke in einem Bürokratieabbau und in der Minderung der Qualitätsanforderungen für die konfektionierte „Platte 2.0“. Und auch die Mieter müssten ihre Ansprüche senken, vor allem bei der Wohnfläche pro Kopf. Die Frage, wer denn bezahlbaren Wohnraum schaffen soll, bleibt. Das können laut Gieseke nur die Kommunen oder Wohnungsunternehmen sein, denn Kapitalanleger werden immer die Rendite im Fokus haben.
Stell Dir vor, es ist Energiewende und alle sanieren mit: Erfahrungen aus einem Partizipationsprozess in einer WEG
Ein Projekt aus der Forschung, und zwar zu Sanierungsvorhaben in Wohnungseigentümergemeinschaften, stellten Prof. Dr. Stephanie Huber und Prof. Dr. Thomas Bäumer vor. Diesmal aber nicht aus technischer Sicht. Die Akzeptanzforscher:innen widmen sich vielmehr partizipativen Prozessen, die mindestens genauso wichtig wie innovative Technologien für die Umsetzung von Klimawende-Projekten sind.
Kurios ist, dass die Sanierungsrate in Wohnungseigentümergemeinschaften mit nur 0,6% deutlich dem Durchschnitt von einem Prozent im Gebäudebestand hinterherhinkt. Dabei existieren in Deutschland rund zehn Millionen WEG-Eigentumswohnungen, das sind 22% des gesamten Wohnungsbestands. Etwa die Hälfte davon ist in den Jahren 1949 bis 1978 gebaut und damit sanierungsbedürftig. Doch die Eigentümer:innen können nur gemeinschaftlich über das Gebäude bestimmen, in der Regel per Mehrheitsentscheidung, und das macht die Sache so schwierig.
Huber und Bäumer entwickelten ein Modell für einen idealen Ablauf der Meinungs- und Entschlussbildung in einer WEG. Es ermöglicht einem gut informierten Eigentümerkreis in einer Kommunikation auf Augenhöhe zu einer abgewogenen Entscheidung zu kommen und wurde zusammen mit einer Ludwigsburger WEG real umgesetzt.
Grundlegende Fragen dabei waren: Wie treffen Menschen Entscheidungen? Und was motiviert sie? Das Spektrum dessen, was Menschen bewegt, sich etwa für eine Fassadendämmung oder eine PV-Anlage auf dem Dach zu entscheiden oder ein solches Vorhaben abzulehnen, ist groß. Es reicht von der altruistischen Motivation, einen positiven Beitrag zum Klimawandel zu leisten, über die wirtschaftliche Überlegung, Energiekosten zu senken, bis hin zur Ablehnung aus Geldmangel oder einer generellen Widerstandshaltung nach der Devise „Damit will ich mich gar nicht beschäftigen“. Aus Sicht der Forscher:innen ist Letzteres absolut nachvollziehbar, weil Menschen so gestrickt sind. Sie mögen keine Veränderungen.
Der wissenschaftlich begleitete Partizipationsprozess in Ludwigsburg führte am Ende zwar nur zur kleinsten Lösung der aufwändig ausgearbeiteten und über verschiedenste Wege kommunizierten Sanierungsoptionen. Doch aus den Rückmeldungen der Beteiligten über ihre Zufriedenheit mit dem Prozess sieht sich das Forscher:innen-Team auf dem richtigen Weg. Es braucht Kümmerer, so das Fazit aus dem anschließenden Workshop, die WEG-Sanierungsvorhaben auf diese Weise begleiten. Dies muss auch politisch unterstützt werden.
Quartiersbezogen denken, lokale Ressourcen individuell einplanen, Wohnflächen reduzieren, nachverdichten, die Baubestimmungen lockern, um steigenden Baupreisen entgegenzuwirken, waren weitere Ideen. Jan Kohlmeyers Strategie für Stuttgart – Gas-Ausstieg und Ausbau der Wärmenetze – soll durch noch mehr Bürgerbeteiligung ergänzt werden. Ein „Bürgerrat Klima“ ist bereits beschlossene Sache, er soll im März die Arbeit aufnehmen. Und dabei, so das Fazit aus dem Workshop, sollten auch Erfolgsgeschichten erzählt und Best-Practice-Auszeichnungen vergeben werden als Anregung für neue innovative und wirtschaftlich interessante Projekte.
Viele Besucherinnen und Besucher vertieften die Eindrücke aus dem Programmteil und den Workshops in angeregten Gesprächen beim anschließenden Buffet. Und eine zweite Folge des Energie- und Klimaforums ist für HFT-Rektorin Katja Rade „absolut denkbar“.
Text: Ursula Pietzsch
Fotos: Michaela Leipersberger-Linder