Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse in puncto Ressourcen- und Energieverbrauch – mit absehbaren Folgen für das weltweite Klima. Im Umkehrschluss muss es stärker darum gehen, ressourcenschonender und energieeffizienter zu leben und zu produzieren. Unterstützen kann bei diesem Brückenschlag die Wissenschaft, um zu einer nachhaltigen Energienutzung und weniger Verbrauch fossiler Rohstoffe zu gelangen.

Vaclav Smil, Professor für Umweltwissenschaften, schreibt in seinem Buch: "Energy and Civilization: A History": "Energie ist die einzige universelle Währung (...)". Von dieser allgemeinen Währung gibt die Menschheit seit Jahrhunderten mehr aus, als sie eigentlich besitzt. Das Wirtschaftsmagazin Brand eins schreibt in diesem Kontext: "Schmutzige Technik heizt den Planeten seit mehr als 200 Jahren auf." Anders formuliert heißt das, wir leben über unsere Verhältnisse in puncto Ressourcen- und Energieverbrauch – mit absehbaren Folgen für das weltweite Klima. Im Umkehrschluss muss es stärker darum gehen, ressourcenschonender und energieeffizienter zu leben und zu produzieren. Merklich unterstützen kann bei diesem Brückenschlag die Wissenschaft, um zu einer nachhaltigen Energienutzung und weniger Verbrauch fossiler Rohstoffe zu gelangen. Die Forschung, samt ihrer Ergebnisse, ist ein wichtiger Treiber für den Transfer zukunftsweisender Energielösungen in die praktische Anwendung, wie die Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart) exemplarisch zeigt.

Laut des Umweltbundesamtes ist der Stromverbrauch in Deutschland "seit Beginn der 1990er Jahre im Trend gestiegen. Den meisten Strom verbraucht die Industrie, gefolgt vom Gewerbe-, Handels- und Dienstleistungssektor, den privaten Haushalten und dem Verkehrssektor." In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Der Bruttostromverbrauch lag im Jahr 2020 bei über 558 Terawattstunden. Damit reiht sich Deutschland ein in die Länder mit dem höchsten Stromverbrauch und belegt hinter China, den USA oder Russland einen der vorderen Plätze im internationalen Vergleich. Mehr noch tragen konventionelle Energieträger, wie Atomstrom, Öl und Kohle, noch immer fast zur Hälfte zur Energieversorgung hierzulande bei. Dies bestätigt auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): "Wir bauen unsere Energieversorgung schrittweise um, damit sie klimaverträglich und nachhaltig wird. Dieser Umbau braucht Zeit. Noch sorgen konventionelle Energieträger dafür, dass die Lichter anbleiben."

Die wichtige Rolle der Wissenschaft

Nun ist Zeit ein relativer Faktor, aber mit Blick auf die Klimakrise ist davon wohl eher weniger als zu viel vorhanden. Von daher braucht es dringend neue Lösungen und Wege für einen nachhaltigen Umbau des Energiesektors. Doch wie soll sie gelingen, die Energie- und letztendlich Klimawende? Eine Antwort geben Wissenschaftler, die seit Jahren an konkreten Maßnahmen und Lösungen für eine bessere Energieeffizienz im privaten und beruflichen Umfeld arbeiten. Damit kommt der Wissenschaft eine wichtige Rolle im kompletten Veränderungsprozess des Energiesektors zu, indem sie neue Technologieansätze aufgreift, diese weiterentwickelt und in Demonstrationsprojekten ersten Praxistests unterzieht. Dr. Dirk Pietruschka, Leiter des Zentrums für nachhaltige Energietechnik – zafh.net, HFT Stuttgart, umschreibt den Weg wie folgt: "Durch Demonstrationsprojekte entstehen Referenzen. Diese zeigen, dass die entwickelten Technologien funktionieren." Und er ergänzt: "Sie zeigen zusätzlich auf, wo Weiterentwicklungsbedarf besteht, um die jeweilige Technologie verlässlich, marktreif und wirtschaftlich zu gestalten."

Dr. Dirk Pietruschka, Leiter des Zentrums für nachhaltige Energietechnik – zafh.net, HFT Stuttgart

Durch diese Demonstrationsprojekte entstehen Referenzen. Diese zeigen, dass die entwickelten Technologien funktionieren.

Smart2Charge: Ladeinfrastruktur im ländlichen Raum

Apropos wirtschaftlich. Ein wichtiger Faktor bei allen Überlegungen. Denn neben der angestrebten Klimaneutralität in der Energieversorgung, und damit von Dienstleistungen und Produktionsprozessen der Zukunft, müssen die angestrebten Forschungsergebnisse und Lösungen wirtschaftlich tragbar sein. Dies erfordert unter anderem den Blick auf den Bedarf und die damit zusammenhängenden Herausforderungen zu richten. Ein Beispiel ist die boomende Elektromobilität und die dafür notwendige Ladeinfrastruktur, gerade im ländlichen Raum. Pietruschka und sein Team sehen hier den zunehmenden Bedarf aufgrund des schnellen Zuwachses an Elektrofahrzeugen. "All diese Elektrofahrzeuge müssen künftig geladen werden", erklärt Pietruschka und meint: "Viele Besitzer solcher Fahrzeuge streben den Aufbau eines Ladesystems am eigenen Wohngebäude an." Der Haken bestehe seiner Meinung nach in den hohen Ladeleistungen, die sich in einem Wohngebiet schnell summieren könnten, auf die unsere Verteilnetzstruktur nicht ausgelegt sei.

Dies zu verhindern, macht ein intelligentes Ladelastmanagement unerlässlich. Dirk Pietruschka nennt es ein "Zauberwort in diesem Zusammenhang". Dahinter steht beispielsweise das gezielte Drosseln der Ladeleistungen, um Überlastungen im Stromnetz oder am Hausanschluss zu vermeiden. Wie sich der schnelle Zuwachs an E-Fahrzeugen, vor allem im ländlichen Raum, auf die Netze auswirke, sei nach Pietruschkas Meinung bis dato nicht im Detail erforscht. "In unserem vom BMWi geförderten Forschungsprojekt Smart2Charge untersuchen wir genau das am Beispiel der Gemeinde Wüstenrot im Landkreis Heilbronn in sehr detaillierten Simulationsstudien", so Pietruschka. Im Mittelpunkt stehen Untersuchungen, die reale Pendlerbewegungen und das reale Fahrverhalten widerspiegeln sowie Szenarien, die den Zuwachs an Elektrofahrzeugen berücksichtigen.

Eine wichtige Funktion sehen die Forscher der HFT Stuttgart in den meist parkenden Elektrofahrzeugen. Deren leistungsstarke Batterien können für das Stromnetz vor allem dann nützlich sein, wenn sie bei Bedarf Strom in das Netz zurückspeisen können. „Diese Möglichkeiten erproben wir nicht nur simulativ, sondern demonstrieren das Ganze in konkreten Smart2Charge-Anwendungsfällen in der Praxis“, resümiert Pietruschka das Projekt. Wichtig sind außerdem flankierende Akzeptanz-, Nutzungs- und Wirtschaftlichkeitsanalysen, auf Basis derer tragfähige Geschäftsmodelle entwickelt werden. Hierzu zählt gleichfalls, wie sich die Ladeinfrastruktur in das bestehende, oft über mehrere Generationen gewachsene Stromnetz integrieren lässt. Zum Projektende im November 2022 soll darüber hinaus ein Planungsleitfaden für Kommunen im ländlichen Raum erstellt werden.

Plusenergiesiedlung: Energie aus eigenen Quellen

Dass auch ganze Siedlungsgebiete von der wissenschaftlichen Arbeit profitieren können, verdeutlicht das smarte Energiemanagement in Gebäuden. Genauer: In vielen Häusern wird Energie verschwendet, ohne diese nachhaltig sowie ganzjährig mittels eines umfassenden Energieflusses zu nutzen. Dies vor Augen, zeigten Forscher der HFT Stuttgart in dem vom BMWi geförderten Projekt "ENVISAGE", wie ein praxisnaher Transferprozess hin zu einer Plusenergiesiedlung gelingen kann. Hintergrund des Vorhabens war der Beschluss der Gemeinde Wüstenrot im Jahr 2007, bis 2020 den Plusenergiestandard zu erreichen. Dahinter steht nach Angaben von Wüstenrot das Ziel, "den gesamten Energiebedarf aus lokalen Ressourcen zu gewinnen". Konkret heißt das, "erneuerbare Energiequellen auf dem Gebiet der Gemeinde Wüstenrot für die Versorgung der Gemeinde zu nutzen." Realisiert wurde das Projekt auf der 14,7 ha umfassenden Plusenergiesiedlung „Vordere Viehweide“ mithilfe kalter Nahwärme und Geothermie-Kollektoren. Sämtliche Gebäude sind mit dezentralen Wärmepumpen, thermischen Pufferspeichern, Photovoltaik(PV)-Anlagen zwischen sechs und 28 kWp ausgestattet. Hinzu kommen sechs Gebäude, in denen zusätzlich Batteriespeicher verbaut sind.

Die eigentliche Wärmeversorgung der 23 Wohnhäuser wird mittels Wärmepumpen sichergestellt, die wiederum an das kalte Nahwärmenetz angeschlossen sind und mit eigen erzeugtem PV-Strom betrieben werden. Das kalte Nahwärmenetz speist sich aus dem sogenannten "Agrothermiekollektor" als Niedertemperaturquelle, ein europaweit erstmals angelegter großer oberflächennaher Erdwärmekollektor. Alle Energieflüsse der Siedlung werden über ein intelligentes Lastmanagement gesteuert – das in ein virtuelles Kraftwerk eingebunden ist. "Das dort umgesetzte kalte Nahwärmenetz war eines der ersten in Deutschland und das erste mit Agrothermiekollektor", fasst Dirk Pietruschka den Projekterfolg zusammen. Nicht zu vergessen sei seiner Ansicht nach die öffentliche Aufmerksamkeit für das Forschungsprojekt. Ein wichtiger Punkt, um Vertrauen hinsichtlich neuer Technologien und letztendlich der wissenschaftlichen Arbeit auf- und auszubauen.

Veröffentlichungsdatum: 12. Januar 2022
Von Andreas Eicher (andreas.eicher@hft-stuttgart.de)