Wie kann Mobilität in den Städten der Zukunft nachhaltiger geplant werden? Experten diskutierten in der Veranstaltungsreihe HFT meets IBA, wie der öffentliche Raum und Infrastrukturen sich in den Quartieren von morgen verändern werden.
Kopenhagen gilt als Paradies für Fußgänger und Fahrradfahrer und ist Vorbild für die Transformation - weg von der Auto-Stadt und hin zu einer Stadt für Menschen. Jahn Gehl, ein berühmter Architekt und Stadtplaner aus Kopenhagen, war hier der Vordenker. Ihm und Gleichgesinnten geht es darum, eine Stadt für Menschen mit hoher Lebensqualität zu schaffen, die die Bedürfnisse von Fußgängern und Radfahrer sowie Familien und Senioren in den Vordergrund stellt. „Making Cities for People“ ist auch das Motto des Büro Gehl. Kristian Villadsen vom Büro Gehl präsentierte in seinem Vortrag „Straßen als Katalysatoren für nachhaltiges Verhalten“ Daten aus Umfragen aus der dänischen Stadt. Die meisten Menschen nutzten im Berufsverkehr das Fahrrad – nicht in erster Linie, weil es um Umweltschutz, die Gesundheit oder Kostenersparnisse gehe, sondern weil in Kopenhagen Radfahren schlichtweg praktisch, einfach zugänglich und schnell sei. „Wir müssen daher Städte schaffen, in dem zu Fuß zu gehen oder Rad zu fahren am angenehmsten, einfachsten, nachhaltigsten und am meisten lebenswert ist", so Villadsen.
Städtebauliche Veränderungen wirken sich auch auf das Verhalten der Bevölkerung aus: Der Straßenverkehr hat sich in Kopenhagen von 15 000 Autos auf 6000 Autos um 60 Prozent verringert. Die Zahl der Radfahrer, die die Fußgänger- und Fahrradbrücke in die Innenstadt nutzen, ist um 20 Prozent auf 36.000 Radfahrer pro Tag angestiegen. Die Anzahl der Fußgänger, die eine Brücke in die Innenstadt nutzen, sei um 60 Prozent angestiegen. Die Verkehrsunfälle gingen um 45 Prozent zurück. Letztlich seien Menschen auch bereit, auf ein eigenes Auto zu verzichten, wenn eine gute Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer vorhanden sei.
Die Covid 19 Pandemie habe in vielen Orten wie ein Katalysator gewirkt. Denn viele Städte hätten schon Umbau-Vorhaben in Richtung Nachhaltigkeit in den Schubladen gehabt, die sie dann während dem Lock-Down umgesetzt hätten. So etwa in Shanghai. Hier war das Büro Gehl 2016 beteiligt an einer „Street Design Guideline“. 2021 wurde die Umgestaltung von Straßen zu Fußgängerzonen mit urbanem Grün in Shanghai umgesetzt.
Prof. Dr. Lutz Gaspers, Mobilitätsforscher und Prorektor Studium und Lehre der HFT Stuttgart, erläuterte aus verkehrsplanerischer Sicht, was eine Straße zur Straße macht. Das Leitbild, sich am stetig wachsenden Verkehrsaufkommen anzupassen, sei überkommen. Vielmehr sei es Aufgabe heute, den innerstädtischen Verkehr zu reduzieren und auch das Parken unattraktiv in den Städten zu machen. Gaspers präsentierte Beispiele aus Stuttgart – Tübinger Straße und Bolzstraße – die jetzt mehr für Fußgänger umgestaltet wurden. An der Theodor-Heuss-Straße, die als Stadtautobahn Stuttgarts gilt, seien nun Pop-Up-Radwege entstanden. Der Mobilitätsforscher präsentierte historische Fotos vom Arnulf-Klett-Platz in Stuttgart vor 100 Jahren, als es noch keine achtspurigen Autospuren gab, sondern nur die Tram und Fußgänger: „Im Prinzip möchten wir uns dorthin entwickeln, wo wir schon einmal vor 100 Jahren waren“, meinte der Mobilitätsforscher. Insgesamt sei das Privatauto zu teuer, auch vor dem Hintergrund, dass es 99 Prozent der Zeit unbenutzt öffentlichen Raum beanspruche. Er wies auf Konzepte hin, die den Privat-Autoverkehr in der Innenstadt reduzierten: Mobilitäts-Hubs mit Verleih-Services von verschiedenen Verkehrsmitteln, höhere Gebühren für Parkhäuser sowie eine City-Maut.
Dass Verkehrsraum vor allem auch öffentlicher Raum ist, diesen Aspekt betonte Stefan Bendiks vom Brüsseler Büro Artgineering. „Wie würden unsere Häuser ausschauen, wenn wir sie so gestalten würden, wie unsere Straßen?“, fragte der Stadtplaner und präsentierte einen Wohnungsgrundriss, wo die Garage die zentrale Stelle des Wohnzimmers einnimmt. „Es geht um Umverteilung von Raum und Privilegien“, betonte er.
Als Beispiel einer Stadt mit den „krassestes Verhältnisse“, die sein Büro je untersucht habe, nannte er Stuttgart. An der B14 am Österreichischen Platz werde der passiven Mobilität, also Autos und Straßenbahn samt Parkhaus, alles untergeordnet. Aktives zu Fuß gehen oder Radfahren sei nahezu unmöglich. Auch Zebrasteifen sind nach Bendiks Ansicht ebenfalls Ausdruck des Machtverhältnisses – nur hier darf der Fußgänger die Straße queren, der andere Raum sei für das Auto reserviert. Städte müssten mehr für Menschen – und nicht für Autos – geplant werden: „Die Lebendigkeit einer Stadt, die sozialen Interaktion zwischen Menschen ist abhängig von der Verkehrsintensität“, betonte er. Je mehr Verkehr, desto weniger soziales Stadtleben. Bendiks nannte zudem noch Tipps zur Wiederaneignung von Verkehrsraum aus Sicht der Stadtplanung: Bürgerbeteiligung, das Teilen von Raum, die Belebung der lokalen Ökonomie, eine einfache Ästhetik und das Verknüpfen von Projekten.
Mario Flammann, HFT-Stuttgart und „pesch partner architekten stadtplaner“ stellte neue urbane Logistikansätze vor. Logistik spiele ebenfalls eine Rolle, ob wir uns in unseren Städten wohlfühlen könnten. Das Online-Bestell-Verhalten habe seit der Covid-19-Pandemie enorm zugenommen. 40 Prozent der Verkehrsmenge sei dem Wirtschaftsverkehr zuzuordnen. Dies sei eine weiterhin wachsende Herausforderung in Bezug auf Verkehrsbelastung und Verkehrssicherheit. Hier müssten sich die Kommunen darauf vorbereiten.
Es gebe jeweils einen ganzen Strauß an Lösungsmöglichkeiten – für jeweils unterschiedliche Probleme und Nutzergruppen. Problematisch sei sicherlich, dass Unternehmen bei der Suche nach gemeinsamen Lösungen im Bestand eher gegeneinander als miteinander arbeiteten.
In Modellquartieren mit Schwerpunkt Wohnen stellte er private Paketempfangsanlagen, öffentliche Quartiersboxen, Multi-User-Mikro-Hubs und unterirdische Transportsysteme vor. Auch autonome Paketzustellungen seien hier im Gespräch. Parkhäuser könnten zudem für logistische Umschlagzwecke genutzt werden.
In der anschließenden Diskussion ging es auch um Strategien für Kommunen und die Furcht der Politik, sich den Unmut von Bürger:innen zuzuziehen, sobald Parkplätze reduziert werden. Als positives Beispiel wurde die „furchtlose“ Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, genannt, die ankündigte, den Individualverkehr bis 2022 weitgehendst aus der Pariser Innenstadt zu verbannen.
HFT meets IBA #6 wurde von Tom Kwakmann (HFT Stuttgart) und Romina Christen (IBA’27) moderiert.